Vorwurf der Diskriminierung – Spielberechtigungen entzogen: Streit zwischen Roter Stern und SFV erklärt

Das Verhältnis zwischen Roter Stern Leipzig und Sächsischem Fußballverband wirkt nachhaltig beschädigt. Der Streit um die entzogenen Spielberechtigungen von fünf tian* Personen landete sogar vor Gericht.

Die Vorwürfe von Roter Stern Leipzig (RSL) wiegen schwer. Der Sächsische Fußballverband (SFV) soll unrechtmäßig Spielberechtigungen von fünf Personen einkassiert haben und weigere sich seit Monaten, diese wieder herauszurücken.

Der Sportverein aus Connewitz spricht von Diskriminierung, da es sich bei den Betroffenen um Personen handelt, die sich als trans, inter, agender oder nicht-binär (tian*) identifizieren. Der SFV stellt die Situation anders dar, erklärt im Gespräch mit der LVZ, dass die Pässe eingezogen werden mussten, da diese so nie hätten ausgehändigt werden dürfen.

Die Situation wirkt festgefahren, das Verhältnis zwischen RSL und Verband nachhaltig beschädigt. Denn zusätzlich zur mutmaßlichen Diskriminierung werfen die Connewitzer dem SFV auch Wettbewerbsverzerrung vor, da ihnen wichtiges Personal im Spielbetrieb gefehlt habe.

„Wir mussten unter anderem deshalb zwei Spiele absagen“, bestätigte Conrad Lippert, der Presseverantwortliche des Vereins. Konkret betroffen ist davon auch ein Flinta*-Team (Frauen, Lesben, inter, nicht-binär, trans, agender), das in der Landesklasse Frauen Nord kickt. Der Rote Stern Leipzig hat deshalb am vergangenen Wochenende einen Aktionsspieltag durchgeführt und bei insgesamt vier Heimspielen auf die mutmaßliche Diskriminierung hingewiesen.

Spielrechte für tian* Menschen sind in DFB-Ordnung verankert

Doch worum geht es hier eigentlich? Hintergrund ist eine neue Regelung, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) im Sommer 2022 verabschiedet hat, um ein Spielrecht für tian*-Personen in der Spielordnung zu verankern. Seither können Menschen mit einem entsprechenden Personenstandseintrag (unter anderem „divers“ oder „ohne Angabe“) sowie alle Menschen, die ihr Geschlecht angleichen lassen, selbst entscheiden, ob sie eine Spielberechtigung für ein Frauen- oder Männerteam haben wollen.

Auf Anfrage teilte der sächsische Verband mit: „Der SFV befürwortet diese Regelung und hat auf dieser Grundlage bereits mehrere Spielberechtigungen erteilt.“ Nach LVZ-Informationen haben derzeit sieben tian*-Personen in Sachsen ein gültiges Spielrecht.

Das Problem: je nachdem, ob ein solcher Personenstandseintrag oder vergleichbare Alternativen vorliegen, müssen unterschiedliche Anträge gestellt werden. Und genau hier – in fünf falschen Anträgen im Sommer 2023 – liegt wohl der Ursprung dieser Geschichte.

Der SFV nimmt sich gegenüber der LVZ selbst in die Pflicht. Die Passstelle habe aufgrund einer Fehlinterpretation der neuen Spielordnung die Anträge fälschlicherweise genehmigt. Die Personen hatten damals einen dgti-Ergänzungsausweis vorgelegt, aber nicht den (bei diesem Formblatt) eigentlich notwendigen Eintrag im Personenstandsregister beziehungsweise gültige Alternativen.

Wenige Monate später sei dem Verband der Fehler aufgefallen, weshalb man Roter Stern eine Frist von gut drei Monaten gegeben habe, um die richtigen Anträge zu stellen. Da sich der SFV der eigenen (Teil-)Schuld an der Misere bewusst gewesen sei, blieben die bestehenden Pässe in diesem Zeitraum gültig. Doch die Connewitzer stellten keine neue Anträge, aus gleich mehreren Gründen.

Roter Stern Leipzig hatte Datenschutzbedenken

„Wir werden keine sensiblen Daten – wie zum Beispiel das Personenstandsregister oder gar medizinische Dokumente – an die Passstelle geben. Dafür ist diese nicht zuständig“, so Conrad Lippert. Die Connewitzer sorgen sich um Datenschutz und wollen potenziell diskriminierende Situationen verhindern.

Aus diesem Grund hatte der DFB die Landesverbände mit Einführung der neuen Regelung eigentlich verpflichtet, eine so genannte Vertrauensperson zu installieren. Ihre Aufgabe: Dokumente einsehen, den nachvollziehbaren und rechtmäßigen Anspruch prüfen und unterzeichnen. Somit würde immer nur eine Person die vertraulichen Unterlagen einsehen und die sensiblen Dokumente wären nirgendwo gespeichert.

Für die Position fand der SFV jedoch lange kein entsprechendes Personal. Wechselnde Personen übernahmen die Aufgabe interimsweise, bevor sich Steve Becker mit Unterstützung des Antidiskriminierungsbeauftragten, Donald Perryman, dem Amt im neuen Jahr annahm.

„Der SFV hätte eine Vertrauensperson, die solche Dokumente einsehen darf, installieren müssen. Das ist erstmal nicht passiert. Damals hat sich also eine andere Person der Aufgabe angenommen und nachgewiesen, dass unsere tian*-Personen in dieser Spielklasse spielen möchten und dazu auch berechtigt sind“, schildert Lippert die Sicht von Roter Stern.

Warum diese plötzlich nicht mehr gültig waren und entzogen wurden, sei nie richtig kommuniziert worden. Es folgte am 17. Januar also ein Prozess vor dem hiesigen, unabhängigen Sportgericht. Dieses stimmte den Connewitzern zu, verhängte am 13. Februar eine einstweilige Verfügung und wies den SFV an, die Spielberechtigungen wieder herzustellen.

Durch neue Vertrauensperson: Fünf neue Anträge gestellt

„Ich finde, es ist ein Armutszeugnis, dass Verantwortliche des Sächsischen Fußballverbands sich über den DFB stellen und einfach ohne Konsequenzen tian*-Personen vom Sport ausschließen können“, zitiert der Rote Stern Leipzig in der Vereinsmitteilung eine der betroffenen Personen, die sich dabei auf eben jenes Urteil bezieht.

Die Krux: Die Entscheidung des Gerichts ist gar nicht mehr gültig. Denn noch während der SFV eine Revision vor dem übergeordneten Verbandsgericht vorbereitete, um das Urteil zu kippen, stellten die fünf Personen neue Anträge. Aus rechtlicher Sicht war somit der Anspruch auf die Freigabe der alten Pässe erloschen, das Urteil verlor seine Grundlage.

Roter Stern ist diese Information neu. Erst vor knapp einer Woche habe das Sportgericht ihnen erneut bestätigt, dass die einstweilige Verfügung weiterhin gültig sei. Der SFV versichert jedoch, allen Beteiligten die neue Situation schriftlich mitgeteilt zu haben. Die Connewitzer betonen zudem, dass sie die neuen Anträge von sich aus gestellt hätten, um lösungsorientiert zu arbeiten und in der festgefahrenen Lage endlich Fortschritte zu machen. Das will auch der SFV, wie er im Gespräch mit der LVZ betont, aber gleichzeitig wolle man in der Bewilligung aller Spielberechtigungen gründlich und rechtssicher handeln.

Denn unter den Betroffenen sind auch männlich gelesene Menschen, also Personen, die sich nicht als Männer identifizieren, von Außenstehenden teilweise aber als solche wahrgenommen werden. In der Liga haben manche Teams damit ein Problem, sehen dies als unfairen Vorteil für Roter Stern. Sowohl bei Spielen der Flinta*-Teams der Connewitzer als auch gegenüber dem SFV sei dies bereits thematisiert worden.

Drei der neuen Anträge wurden derweil bewilligt, die entsprechenden Pässe ausgehändigt. In den anderen beiden Fällen stehen die Entscheidungen noch aus. Seine Gründlichkeit – oder sogar Spitzfindigkeit – im gesamten Prozess begründet der SFV auf LVZ-Anfrage schriftlich:

„Auf korrekte Spielberechtigungen verlassen sich letztlich auch die gegnerischen Mannschaften.“